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Heide, Wald und Wasser in Limburg

„Und die Israeliten gingen hinein mitten ins Meer auf dem Trockenen, und das Wasser war ihnen eine Mauer zur Rechten und zur Linken.“ Wer hätte gedacht, dass ich einen Artikel über Graveln in Limburg mit einem Zitat aus dem Alten Testament beginnen würde? Wofür es dazumals überirdische Kräfte bedurfte (wenn überhaupt), dafür reicht heutzutage ein bisschen Beton. Fühlen tun wir uns trotzdem ein bisschen wie die Israeliten, die vermeintlich trockenen Fußes das Meer durchquert haben, als wie im belgischen Borijk durchs Wasser radeln.

Denn tatsächlich gibt es hier einen Radweg, auf dem das Wasser direkt neben einem zur Rechten und zur Linken eine Mauer bildet. „Fietsen door het Water“ heißt die Attraktion, bei der wir zwar nicht durchs Meer, aber zumindest mitten durch einen See radeln. Der Radweg ist tiefergelegt und führt uns unter die Wasserlinie, unsere Köpfe sind auf Höhe der Wasseroberfläche, das Wasser steht uns im wahrsten Sinne des Wortes bis zum Hals. Vom Wind angepeitscht, schwappt das Wasser links immer wieder ein bisschen über die Mauer. Lieber nicht nass werden! Wir radeln auf Augenhöhe mit den Enten durch den See – ein neues und schönes Erlebnis.

Drei Tage bin ich mit zwei Freundinnen in der belgischen Provinz Limburg auf Radreise. Drei Attraktionen haben wir uns vorgenommen, die Limburg extra für Radfahrer*innen errichtet hat. „Fietsen door het Water“ ist die eine davon, „Fietsen door het heide“ und „Fietsen door het bomen“ die zwei weiteren. Radeln durchs Wasser, durch die Heide und durch die Bäume – jeden Tag steuern wir eines dieser Highlights an. Dazwischen lernen wir die Gegend kennen, trinken belgisches Bier und essen belgische Fritten. Graveln in Limburg halt.

Eigentlich war unser Plan, mit Bahn und Rad von Köln nach Maastricht zu fahren und dort unsere Radtour zu starten. Die erste Recherche zeigte: ein Umstieg in Aachen in den internationalen RE18 und wir sind in zwei Stunden am Ziel. Eigentlich. Denn aktuell verkehrt auf der Strecke des RE18 nur ein Busersatzverkehr – Fahrradmitnahme nicht möglich. Wir haben die Situation pragmatisch gelöst und haben die 30 Kilometer von Aachen nach Maastricht kurzerhand mit dem Rad zurückgelegt.

Um erst mal „Strecke zu machen“ nehmen wir einfach den kürzesten Weg parallel zur Straße. Die Entschleunigung beginnt ausgerechnet in der Großstadt (ja, als Großstadt gilt man ab 100.000 Einwohner*innen, hier sind es mehr als 120.000) Maastricht. Erst sind wir begeistert von der Radwegführung durch die Kreisverkehre, dann von den Radwegunterführungen unter den großen Kreuzungen durch und schließlich fragen wie uns: Wofür das eigentlich alles, hier fahren doch eh keine Autos? Tatsächlich sind wie mitten im Zentrum von Maastricht reichlich irritiert und fragen uns tatsächlich, ob es an diesem Mittwochvormittag womöglich ein PKW-Fahrverbot gibt, so fremd kommt uns eine Stadt dieser Größe nahezu ohne Autoverkehr vor. Wir sehen fast nur Busse, Fußgänger*innen und – Radfahrer*innen. Da geht uns direkt mal das Herz auf, besser könnte eine Radreise ja kaum starten. PS: Nein, es gab kein Fahrverbot.

Fietsen door het heide

Zwei Stunden nachdem wir in Aachen aus dem Zug gestiegen sind, sind wir in Belgien und haben wenig später die erste Attraktion unsere Bucket List erreicht: „Fietsen door het heide“. Im Grunde ist es einfach nur eine Brücke über die Autobahn. Doch die Belgier zeigen, wie man aus einer einfachen Brücke eine Attraktion machen kann: indem man ein bisschen Holz und ein bisschen Geld in die Hand nimmt und einen Architekten ins Boot holt. Das reicht schon, um aus einer unattraktiven Straßenquerung ein kleines Highlight zu machen.

Beim Durchfahren fühlen wir uns wie auf Schienen in einen Tunnel gezogen. Die Wände rechts und links neben uns ragen senkrecht in die Höhe. Aber dank der freundlichen Holzlattenkonstruktion ist das alles andere als bedrohlich. Am Scheitelpunkt der Brücke konzentrieren wir uns darauf, den Blick nicht auf die Straße unter uns, sondern auf die Heide rund um uns zu richten. Und natürlich brauchen wir ein Foto! Selbst an diesem Mittwochvormittag dauert es nicht lange, bis ein Radfahrer kommt, dem wir unsere Kamera in die Hand drücken können. Er wohne hier um die Ecke, direkt am Rande der Mechelner Heide, erzählt uns der freundliche Herr. Er fahre regelmäßig hier lang, einfach weil es so schön sei. Das ist es wirklich! „Da vorne könnt ihr einkehren und was trinken“, gibt er uns zum Abschied mit.

Statt an der Landstraße, an der uns der Radweg ausspuckt, seiner Empfehlung nach rechts zu folgen, biegen wir allerdings nach links ab. Denn nur dreieinhalb Kilometer weiter wartet der Bahnhof von As auf uns. Uns zieht es direkt zum Aussichtsturm dort. Oben lernen wir, dass Limburg früher eine Steinkohleabbauregion war. Der Turm, auf dem wir stehen, ist eine Replik des Bohrturms, mit dem André Dumont 1901 die erste Steinkohle in der Provinz Limburg entdeckte. In der Ferne ragen einzelne Bergkuppen als Halden aus dem sonst platten Land.

La Biomista

Ein ganz anderes Erlebnis erwartet uns in „La Biomista“ am Ortsrand von Genk. Für Kunst-Laien wie uns ist der Ort auf den ersten Blick eine Mischung aus Museum, Park und Zoo. Tatsächlich aber ist er das Lebenswerk des Künstlers Koen Vanmechelen, die Verkörperung seiner künstlerischen und philosophischen Vision. Ohne Erklärung ist das für uns schwer zugänglich, aber zum Glück bringt uns Hanna Simons den Ort nahe. Hanna arbeitet in der Kommunikation von La Biomista und wir sind dankbar, dass sie uns in der Welt von Vanmechelen an die Hand nimmt. Alternativ stehen für die Besichtigung Audioguides zur Verfügung.

La Biomista ist ein Garten aus Ordnung und Chaos, eine Arena aus Kultur und Natur. Neben Kunstskulpturen wie dem Cosmogolem, der ein Weltprojekt für Kinderrechte ist, stehen Lamas und Emus. Echte! Es ist definitiv ein interessanter und lohnender Stopp, der einen über Diversität, Identität und Globalisierung nachdenken lässt. Danach wieder im Sattel zu sitzen und der belanglosen monotonen Bewegung der Pedale zu folgen, ergänzt sich irgendwie gut. Und einige Kilometer später in der Brauerei Ter Dolen kurz vor dem Ender der heutigen Tagesetappe ein handfestes belgisches Bier in der Hand zu halten, auch. Apropos „in der Hand halten“: Keiner der anderen Gäste verlässt die Brauereigastronomie ohne ein Laib Brot in der Hand. Also erwerben selbstverständlich auch wir eines der Brote, die Ter Dolen mit der beim Brauprozess übrigbleibenden Maische backt. Auch das hat sich gelohnt.

Fietsen door het bomen

Am nächsten Morgen dauert es nicht lange, bis erste Parkplatzausschilderungen das Highlight des heutigen Tages ankündigen: den Baumwipfelpfad „Fietsen door het bomen“. Wieso eigentlich Parkplätze? Wer kommt den hier mit dem Auto, wo es sich doch um eine ausgewiesene Radfahrerattraktion handelt? Entsprechend leer sind die Parkplätze. Zugegebenermaßen allerdings zu dieser Jahreszeit auch der Radweg. Insofern ist die Nebensaison oder aber die frühen Morgen- beziehungsweise späten Abendstunden für den Besuch des Baumwipfelpfads durchaus zu empfehlen. Denn zu den Stoßzeiten ist hier einiges los.

Nicht umsonst freilich, denn „Radeln durch die Bäume“ ist ein einzigartiges Fahrraderlebnis. Mit moderater Steigung führt uns der Radweg in einem großen Kreis hinauf in die Baumkronen in zehn Metern Höhe. Wir sagen einem Eichhörnchen Hallo und schauen dem Eichelheer hinterher, der sich von uns gestört fühlt. Genauso beeindruckt wie von der Natur auf Augenhöhe sind wir von der Konstruktion des Baumwipfelpfads. Die langen Pfähle aus rostbraunem Cortenstahl ähneln den Stämmen der Kiefern um sie herum. Die Idee, die Konstruktion harmonisch mit der Umgebung zu verschmelzen, ist definitiv gelungen.

Auch an diesem Ort sind wir der Geschichte der Region nahe. Denn die Wälder im Naturschutzgebiet Pijnven bestehen größtenteils aus Kiefern, die am Anfang des vorigen Jahrhunderts als schnell wachsendes Gehölz für die Produktion von Grubenholz angepflanzt wurden.

Die Bergbauhistorie der Region begleitet uns auch im weiteren Tagesverlauf. Mit be-MINE passieren wir eine der Halden, die zu Landmarken und Naherholungsgebieten umgebaut wurden. Wir fühlen uns unweigerlich an das Ruhrgebiet erinnert. Hier in Beringen wurde aus dem alten Erdaushub ein Erlebnisberg inklusive MTB-Park. Aber dafür haben wir das falsche Rad unterm Hintern.

Zum Ende der Etappe bekommen wir einen Eindruck, was uns am nächsten Tag beim Graveln durch Limburg erwartet: Wasser. Wir durchqueren den Landschaftspark De Wijers. Er ist ein Flickwerk aus mehr als 1.000 Teichen, die die Mönche der Umgebung einst zur Fischzucht angelegt haben. Ein ausgeklügeltes System aus Deichen und Kanälen entlang der Bäche ermöglicht diese großräumige Teichlandschaft. Zahlreiche Wander- und Radwege gespickt mit einem Aussichtsturm ziehen heute Erholungssuchende an.

Fietsen door het Water

Denn am nächsten Morgen zieht es uns unweigerlich zum Radweg durchs Wasser. Und nach einer knappen Stunde im Sattel sind wir auch schon da. Nachdem wir mehrfach hin und um gefahren sind, setzen wir uns ins Gras, schauen dem auch um diese Uhrzeit bereist munteren Treiben zu und genießen ein kleines Picknick aus unseren Radtaschen. Es gibt Rühreibrötchen und Bananenbrot. Lecker!